Nach der überraschenden Absetzung von Bahn-Chef Richard Lutz fordert die Bahnlärm-Initiative vom Mittelrhein eine umfassende Bahnreform. Im Zentrum steht die Forderung, den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn nicht nur mit Politikern und Managern zu besetzen, sondern auch mit Bürgern, die unmittelbar von den Folgen des Bahnverkehrs betroffen sind – Pendler, Fahrgäste und Anwohner. Die Initiative kritisiert eine seit Jahrzehnten anhaltende Politik der Flickschusterei, die weder den Bahnbetrieb zuverlässig mache noch den Lärmschutz voranbringe.
Gefordert werden neben strukturellen Veränderungen auch konkrete Maßnahmen wie nächtliche Tempolimits für Güterzüge, moderne Lärmschutztechnologien und die Umsetzung von Alternativtrassen. Zudem drängen die Initiativen auf mehr Realitätssinn und Bürgernähe in den Entscheidungsgremien. Nur so könne die Bahn zukunftsfähig und bürgerfreundlich werden.
Hintergrund: Krise bei der Bahn und ungelöste Lärmprobleme
Die Entlassung von Bahnchef Richard Lutz hat eine Diskussion über die Zukunft der Deutschen Bahn ausgelöst. Für die Bahnlärm-Initiativen im Mittelrheintal greift diese Debatte jedoch zu kurz. Nach Ansicht von Willi Pusch, Vorsitzender der Bürgerinitiative gegen Bahnlärm mit Sitz in Kamp-Bornhofen, seien die Probleme der Bahn nicht allein durch Personalwechsel an der Spitze zu lösen. Die Ursachen liegen tiefer: marode Infrastruktur, zu geringe Investitionen, chronische Verspätungen, Ausfälle und eine fehlende Bürgernähe.
Pusch warnt davor, die Verantwortung weiterhin nur Managern und Politikern zu überlassen. Seit Jahrzehnten würden große Pläne angekündigt, doch für Fahrgäste und Anwohner habe sich kaum etwas verbessert. Statt konsequenter Reformen habe die Bahn immer nur auf neue Wahlperioden und wechselnde politische Ideen reagiert.
Forderung: Pendler und Anwohner in den Aufsichtsrat
Die Kernforderung der Initiative ist eine Reform des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn. Dieser dürfe nicht länger ein Gremium sein, das ausschließlich mit Politikern und Wirtschaftsvertretern besetzt ist. Stattdessen müssten auch Menschen aus dem Alltag – Pendler, Fahrgäste und Anwohner – dort vertreten sein. Nur diese könnten die tatsächlichen Probleme benennen und praxisnahe Lösungen einbringen.
„Mehr Bürgernähe und Realitätssinn“ seien unabdingbar, so Pusch. Nur so könne eine Bahn entstehen, die nicht nur den steigenden Verkehr bewältigt, sondern auch Rücksicht auf die Gesundheit und Lebensqualität der Anwohner nimmt.
Zentrale Forderungen vom Bahngipfel
Die Debatte ist eingebettet in konkrete Forderungen, die beim sogenannten Neuwieder Bahngipfel bereits formuliert wurden. Dazu zählen:
Eine Alternativtrasse für den Güterverkehr, auch außerhalb des Bundesverkehrswegeplans, um Planungszeit zu sparen.
Neukonstituierung des Beirats „Leiseres Mittelrheintal 2.0“ für den Abschnitt Koblenz–Bonn.
Lärmschutz während der Generalsanierung der rechtsrheinischen Strecke ab 2026.
Lärmmindernde Geschwindigkeitsbeschränkungen in Ortschaften.
Moderne Instrumente zur Lärmkontrolle, die die Belastung transparent machen und Fortschritte dokumentieren.
Konkrete Maßnahmen: Tempo 50 und technische Lösungen
Neben langfristigen Infrastrukturprojekten setzen die Initiativen auch auf kurzfristige Maßnahmen. Besonders hervorzuheben ist die seit vielen Jahren erhobene Forderung nach einem nächtlichen Tempolimit von 50 km/h für Güterzüge. Trotz breiter Unterstützung wurde diese Maßnahme bisher nicht umgesetzt.
Zusätzlich wird der Einbau von sogenannten Rail Pads vorgeschlagen. Dabei handelt es sich um Kunststoffpolster zwischen Schiene und Schwelle, die Erschütterungen und Lärm deutlich reduzieren können. Messungen in der Schweiz und in Belgien bestätigen deren Wirksamkeit.
Alternativtrassen und internationale Korridore
Für eine langfristige Entlastung setzen viele Initiativen auf den Bau neuer Strecken. Besonders im Gespräch ist die Tunnelstrecke Troisdorf–Mainz–Bischofsheim, die als Alternativroute für den Güterverkehr dienen soll. Parallel hoffen Anwohner auf eine stärkere Nutzung des internationalen „Rail Freight Corridor 2“, der von den Benelux-Häfen bis nach Genua führt.
Kritik gibt es jedoch an Plänen des Bundesverkehrsministeriums, nur den Abschnitt zwischen Bingen und Koblenz zu entlasten. Das würde bedeuten, dass im Unteren Mittelrheintal die Zahl der Güterzüge sogar noch steigt – ein Szenario, das viele Kommunen als inakzeptabel ansehen.
Der Neuwieder Landrat Achim Hallerbach betont: „Unser Mittelrheintal ist eine hochgeschätzte Kulturlandschaft, ein beliebter Lebensraum und ein Besuchermagnet. Damit das so bleibt, müssen beide Talabschnitte gleich behandelt werden.“
Fazit
Die Bahnlärm-Initiativen vom Mittelrhein machen deutlich: Es geht nicht allein um die Suche nach einem neuen Bahnchef, sondern um einen grundlegenden Neustart der Bahnpolitik. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach Bürgernähe – sowohl in den Entscheidungsgremien der Bahn als auch in der praktischen Umsetzung von Lärmschutz und Infrastrukturmaßnahmen. Nur wenn Pendler und Anwohner im Aufsichtsrat vertreten sind, kann die Bahn den Anspruch erfüllen, zuverlässig, zukunftsfähig und bürgernah zu werden.
Quelle: Mario Quadt, General-Anzeiger Bonn, 27.08.2025
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