Der Kommentar von Arno Luik zur Ernennung von Evelyn Palla als neue Bahnchefin ist eine Mischung aus Kritik, Hoffnung und Skepsis.
1. Eine richtige Wahl – nach vielen Fehlbesetzungen
Luik betont, dass Palla im Vergleich zu ihren Vorgängern die wohl beste Wahl sei. Während frühere Bahnchefs wie Dürr, Mehdorn oder Grube aus Auto- oder Luftfahrtindustrie kamen und ohne Bahnerfahrung agierten, bringt Palla tatsächliche Expertise mit. Als Leiterin von DB Regio kennt sie die Probleme des Konzerns von innen, besitzt sogar einen Lokführerschein und genießt damit Respekt beim Personal.
2. Erbe einer maroden Bahn
Ihr Vorgänger Richard Lutz hinterlässt Palla jedoch einen Konzern im desaströsen Zustand: Milliarden-Schulden, Rückbau der Infrastruktur, ein hochkomplexes Geflecht aus Tochtergesellschaften und eine katastrophale Pünktlichkeitsbilanz. Die sogenannte „Generalsanierung“ von Hauptstrecken, bei der komplette Korridore monatelang gesperrt werden, bezeichnet Luik als größten Fehler. Statt Reisende zu halten, treibe man sie damit auf die Straße.
3. Verfehlungen seit der Bahnreform
Seit der Bahnreform 1993/94 habe die Bahn keinen der politischen Aufträge erfüllt: Weder Ausbau des Netzes noch finanzielle Konsolidierung seien erreicht worden. Im Gegenteil: Schienen wurden abgebaut, Weichen entfernt, Bahnhöfe stillgelegt. 100 Städte sind vom Fernverkehr abgehängt, Millionen Menschen abgekoppelt. Die Netzlänge ist seit 1994 um 20 % geschrumpft, die Zahl der Weichen sogar um mehr als die Hälfte.
4. Marode Infrastruktur und vernachlässigter Güterverkehr
Brücken sind im Schnitt 75 Jahre alt, rund 2000 Bauwerke müssen komplett erneuert werden. Der Güterverkehr wurde systematisch vernachlässigt: Firmenanschlüsse verschwanden, Güterwagen sind veraltet, und das Transportvolumen ist heute geringer als vor 40 Jahren. Luik spricht von einer „Schrottbahn“, deren Infrastruktur und Material in die Jahre gekommen sind.
5. Politik als Mitverursacher
Die Verantwortung sieht Luik nicht nur beim Bahn-Management, sondern auch bei der Politik. Trotz jährlich milliardenschwerer Zuschüsse handle die Bahn nicht im Sinne des Grundgesetzes, das ihr den Auftrag „zum Wohl der Allgemeinheit“ erteilt. Stattdessen agiere sie als „Staat im Staat“. Milliarden fließen in Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 oder die zweite Münchner Stammstrecke, während der Nahverkehr – von drei Milliarden Fahrgästen jährlich genutzt – vernachlässigt bleibt.
6. Chancen für Palla
Trotz der Tristesse sieht Luik Chancen: Palla könnte Vertrauen zurückgewinnen, indem sie die Reparaturpraxis ändert – nicht mehr durch monatelange Vollsperrungen, sondern „unterm rollenden Rad“ wie früher. Ebenso könnte sie das Preissystem vereinfachen und nach Schweizer Vorbild kundenfreundlicher gestalten. Ein klarer Fokus auf Nahverkehr und regionale Anbindung statt milliardenteurer Schnellstrecken wäre ein Schritt in die richtige Richtung.
7. Forderung nach einem Kulturwandel
Luik macht deutlich: Die Bahn muss nicht „besser“ werden, sondern schlicht zuverlässig, sicher und pünktlich – so wie früher. Der berühmte Satz „pünktlich wie die Eisenbahn“ müsse wieder Gültigkeit haben. Heute dagegen prägen „Schaden in der Oberleitung“ und „Betriebsstörung“ das Bahnfahren.
8. Fazit: Hoffnung und Zweifel
Am Ende bleibt Luik skeptisch. Zwar sei Palla eine hoffnungsvolle Wahl, doch die strukturellen Probleme, jahrzehntelangen Fehlentscheidungen und falschen politischen Prioritäten machen ihre Aufgabe beinahe unlösbar. Ob sie gegen interne Widerstände, politische Fehlsteuerungen und das Geflecht von Interessen ankommt, bleibt offen.
Quelle
Kommentar von Arno Luik: „Die neue Bahn-Chefin macht Hoffnung – sie ist aber von einem Faktor abhängig“, veröffentlicht am 21.09.2025 bei Focus Online
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